Übergangsklasse

Vom Schafhirten zum Musterschüler

In der Übergangsklasse an der Mittelschule wird
ein großer Beitrag zur Integration geleistet

VSZM16

Landau. Das letzte halbe Jahr war etwas Besonderes für Mittelschul- Lehrer Franz Strasser. Sein Beruf verlangt ihm derzeit weit mehr als rein pädagogische Kompetenzen ab. Wenn er morgens die Klassenzimmertür aufschließt, wird er bereits erwartet. Vom kleinen Mohammad Odai, der ab halb acht dem Unterrichtsbeginn entgegenfiebert. Schon auf dem Weg von der Tür zum Lehrerpult bombardiert der hibbelige, fröhliche 13-Jährige den Klassenleiter mit einem halben Dutzend Fragen.

Franz Strasser stellt sich diesem Bombardement gerne. Als Lehrer der Übergangsklasse an der Mittelschule betreut er derzeit 14 Jugendliche unterschiedlicher Herkunft. Die Fortschritte, die sich bei Schülern wie Mohammad, Abdul und Rasul in der Klasse bemerkbar machen? „Besser als jede Bezahlung“, findet Strasser.

Die Fragen stellt Mohammad seinem Lehrer auf Deutsch. In sehr gutem Deutsch, wenn man bedenkt, dass er die Übergangsklasse erst seit drei Monaten besucht. „Ich bin seit sechs Monaten in Deutschland“, sagt der junge Syrer. Als „ein bisschen schwierig“ beschreibt er das Erlernen der Sprache. „Vor allem die Artikel“ bereiten ihm ein wenig Kopfzerbrechen. Und dennoch - der wissbegierige 13-Jährige nimmt sich der Herausforderung mit Eifer an.

Die jahrgangsstufenübergreifende Übergangsklasse an der Mittelschule gibt es seit diesem Schuljahr. Seit September haben insgesamt 37 Schüler die Klasse durchlaufen. „Ziel ist es, die Jugendlichen an die Regelklassen heranzuführen“, sagt Rektor Rudi Kratschmer. Die Mehrheit der derzeit 14 Schüler in der Übergangsklasse - vier an der Zahl - sind Afghanen. Der bunte Nationalitäten- Mix reicht darüber hinaus von Syrern über Italiener und Kosovaren bis hin zu ungarischen und tschechischen Schülern. Die Jüngste in der Klasse ist Petra aus Ungarn, die vor kurzem ihr zwölftes Lebensjahr vollendet hat. Zehn der insgesamt 37 Schüler konnten bereits in Mittelschul-Regelklassen integriert werden.

Rasul ist einer davon. Der 16-Jährige gereicht durchaus zum Sinnbild für erfolgreiche Integration. Seit eineinhalb Jahren lebt er in Deutschland. Zunächst hat er sechs Monate mit einem Betreuer gelernt, dann zwei Monate an der Dingolfinger Mittelschule. Von September bis Januar hat er die Übergangsklasse in Landau besucht. Mittlerweile lernt er für den Qualifizierenden Abschluss der Mittelschule. Im nächsten Schuljahr strebt er die Mittlere Reife an. „Ich will Automechaniker oder Elektriker werden“, sagt Rasul. Wenngleich der Afghane davon ausgeht, dass diese Berufe „ein bisschen kompliziert“ sind, ist er zuversichtlich: „Ich glaube, ich schaffe das.“ Und seine Hoffnungen sind berechtigt, hat er sich in Deutschland doch zum Musterschüler entwickelt und die Sprachgrundlagen binnen kurzer Zeit gelernt. „80 Prozent der Sprache verstehe ich“, sagt er. Und wenn er seinen Kreuzbandriss auskuriert hat, will er wieder Fußball spielen. Franz Strasser ist voll des Lobes für seinen ehemaligen Übergangsklassen- Schüler. „Rasul ist sehr motiviert, lernt stundenlang, liest viel.“ Mit Schülern, die in ihrer Heimat bereits eine Schule besucht haben, „wurden gute Erfahrungen gemacht“, sagt Strasser.

Doch nicht alle haben in ihren Herkunftsländern Schulbildung genossen. Der Unterricht in der Übergangsklasse umfasst die Alphabetisierung von Nullsprachlern ebenso wie die Arbeit mit Bild-Wort-Zuordnungen. „In der Klasse gibt es sehr viele verschiedene Leistungsniveaus.“ Deshalb steht im Lehrplan alles von Grundschulstoff bis Pythagoras. Die enorme Bandbreite an Voraussetzungen reicht von Analphabeten, die in ihren Heimatländern nur Schafe gehütet haben, bis hin zum „Student“, wie Rektor Kratschmer etwa Rasul nennt. Die Differenzierung zwischen den Schülern ist eine große Herausforderung, denn „man muss jedem gerecht werden und pädagogisch wirken, damit sie sich an die Schule gewöhnen“, weiß Strasser. Wenn - wie im Falle von Rasul - ein gewisses Sprachniveau erreicht worden ist, kann die Integration in eine Regelklasse erfolgen.

Zwischen Klassenzimmer und Flüchtlingsunterkunft

Der Berufsalltag von Franz Strasser spielt sich längst nicht mehr nur im Klassenzimmer ab. Derzeit kommt seine Tätigkeit ohnehin der eines Sozialarbeiters näher als der eines Lehrers, wie Schulleiter Kratschmer anmerkt. Eine persönliche Beziehung zu den Schülern aufzubauen und Kontakt zu Betreuern und Heimgruppen in Flüchtlingsunterkünften zu halten, sei unabdingbar. Und damit die Flüchtlingskinder erst zu Schülern werden, hat Strasser die Unterkünfte regelmäßig besucht. Die Schulpflicht greift ab einem dreimonatigen Aufenthalt. Einige der Jugendlichen besuchen die Schule aber auch schon davor, gibt es teils doch gravierende Defizite aufzuarbeiten.

Nicht alle Schüler in der Übergangsklasse sind Flüchtlingskinder, aber der Großteil. Der 16-jährige Afghane Abdul gehört zu diesem Großteil. Er hat einen weiten und langen Weg hinter sich. Ein Jahr lang. Am Ende der beschwerlichen Reise ist er in Deutschland angekommen. Sein Vater war Polizist und ist bei einem Attentat ums Leben gekommen. Die Strapazen der Reise haben oft auch physische Auswirkungen. Manche der Flüchtlingskinder klagen etwa über Kopfschmerzen, wohinter meist ein Trauma steckt, sagt Strasser. Abdul beschreibt er als „sehr motiviert“. Vom Hausmeister holt sich der Afghane immer wieder aussortierte Bücher, um zu lernen.

Mit Unterrichtsmaterial ist die Übergangsklasse mittlerweile gut eingedeckt. Die Schüler profitieren davon, dass Strasser Medienpädagogik als Erweiterung studiert hat. „Die Arbeit mit neuen Medien wie Tablets ist das A und O“, findet er. Rund 500 Euro hat die Schule investiert, um in Sachen Technik aufzurüsten. Tablets etwa gehören zum Schulalltag - und erleichtern das Lernen ungemein. Diverse Apps ermöglichen selbstständiges Arbeiten. Unterrichtsinhalte sind aber ebenso Regalerkundungen im Supermarkt, arbeitspraktische Fächer und Sport.

„Wir waren sehr dahinter, eine Übergangsklasse zu bekommen“, sagt Rudi Kratschmer. Dank guter Zusammenarbeit mit dem Landratsamt und Schulamtsdirektor Stefan Pielmeier sowie der Unterstützung der Regierung ist dieses Ziel erreicht worden. Mit der Überführung der Schüler in die Regelklassen ist es aber nicht getan - ein „vernünftiger Abschluss“ soll her. Für diejenigen, die den Qualifizierenden Abschluss der Mittelschule nicht schaffen, gibt es deshalb noch die „abgespeckte Variante“, wie Kratschmer es formuliert, den „Abschluss der Praxisklasse“. Auch Lehrerin Laura Holfelder hilft in der Übergangsklasse aus und bietet einen vertieften Deutschkurs an. Zusätzlich zum allgemeinen Schulunterricht haben die Jugendlichen die Möglichkeiten, den Deutschkurs zu besuchen, der vom Vorsitzenden des Mittelschul-Fördervereins Dr. Bernd Probach organisiert worden ist, oder mit Sprachpaten von der- Freiwilligen Agentur zusätzlich zu lernen. „Unsere externen Partner sind unwahrscheinlich wichtig“, betont Kratschmer.

Bei den Schülern kommt Franz Strasser gut an, man ist sich vertraut geworden. „Die Unterrichtsatmosphäre wurde gut angenommen.“ Und obgleich im Unterricht mitunter auch etwas harschere Töne gefordert sind, „läuft es in der Klasse gut und die Schüler passen aufeinander auf“. Damit sich die Jugendlichen auch abseits der Schule an die deutsche Kultur gewöhnen, stehen unter anderem Fußball und ein Besuch bei der Feuerwehr auf dem Programm.

Kürzlich ist an der Schule ein Kooperationsprojekt zwischen der Klasse M9c und der Übergangsklasse gestartet worden. Gemeinsame Aktionen, wie etwa der Besuch der Bowlingbahn kürzlich, sollen den ausländischen Schülern bei der Integration in die Schulgemeinschaft helfen - und ein Zeichen gegen Rassismus setzen.

Phasenweise bestand die Klasse aus 21 Schülern. „Mindestens acht Schüler muss die Klasse haben“, sagt Strasser. Die Zahl der Neuzugänge sank in den letzten Wochen. Zum Ende des Schuljahres zeichnet sich eine Auflösung der Übergangsklasse ab. „Es war eine Herausforderung“, sagt Strasser, der er sich gerne angenommen habe. „Es war sehr anstrengend, aber es hat auch mehr Spaß gemacht als erwartet.“ Die großen Lernfortschritte, die in der Klasse gemacht worden sind, machen Franz Strasser stolz. Und sollte die Übergangsklasse aufgelöst werden, wird er das morgendliche Fragen-Bombardement von Mohammad sicher vermissen.

Bericht und Foto
Stefan Wimberger, DA
 16.04.2016

VSZM16

„Die Arbeit mit neuen Medien wie Tablets ist das A und O“, sagt Lehrer Franz Strasser (2.v.r.).
Abdul, Mohammad und Rasul (v.l.) profitieren von den Lernmethoden - und haben bereits große Fortschritte gemacht.

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